GLOSSAR

Als Schreibende in diesem Textkomplex bin ich mit einigen Schwierigkeit bezüglich der Wortwahl konfrontiert. Wörter sind nämlich nicht unschuldig. Wenn ich mit Wörtern operiere, so bewege ich mich unweigerlich auch im jeweiligen Habitat des Wortes, nämlich in seiner Entstehungsgeschichte, seinem Diskurs, seiner Verknüpfung in kulturelle Denkkonzepte. Wörter üben eine gewisse Macht über die Dinge aus, die sie bezeichnen[1]. Von Menschen und Nichtmenschen zu schreiben, bedeutet, die Differenz, die durch diese zwei Wörter zueinander ausgedrückt wird, mitdenken zu müssen- auch wenn ich die Differenz zwischen Mensch und Nichtmensch eigentlich in Frage stellen möchte. Wie eine magische Präsenz beschwöre ich denjenigen Geist, den ich austreiben möchte, mit dem Ausschreiben dieser Wörter wieder in den Raum. Das gleiche Problem hat auch das Wort Posthumanismus, welches sich in einer ewigen Kritik am Humanismus kontinuierlich auf diesen rückberuft und überhaupt nur in dieser Referenz existiert[2]. Wieso also nicht einfach neue Wortschöpfungen gebrauchen? Wieso überhaupt noch einen Unterschied zwischen Menschlichen und Nichtmenschlichen machen? Nun, hier kommen die Kletten, die ich nicht einfach abstreifen kann, zum Vorschein. Ich muss mich mit jenen Wörtern auf die Dinge beziehen, mit denen auch meine Leser*innen denken und operieren, um mich verständlich zu machen. Sprache funktioniert nicht im Alleingang.

Wenn ich irgendwelche Fantasie-Zeichen gebrauche, ignoriere ich die melancholische Tatsache, dass ich als Schreibende und als Denkende situiert[3] bin, verknüpft und eingebettet in ein komplexes Netzwerk aus den Dingen, die ich bezeichnen will, den Leser*innen, die meine Markierungen lesen, den Begriffsgeschichten der Wörter (und Zeichen) und den Denkkonzepten, welche gleichsam als Gebärmütter für mich, mein Denken, die Wörter, die Dinge und die Lesenden am Werk sind.

Diese Situiertheit zu ignorieren, hiesse zu verleugnen, dass wir nur innerhalb dieser Verknüpfungen denken (und existieren?) können. Was ich in diesem Textkomplex versuche, ist, mit Verfremdungen, Abwandlungen, WortverWANDLungen auf genau diese Verknüpfungen aufmerksam zu machen. Mit diesen verWANDLungen möchte ich gleichzeitig meinen Kampf mit den Wörtern und mein Bedürfnis, einige dieser Wörter hinter mir lassen zu können, zum Ausdruck bringen. Ich werde euch bezüglich einheitlicher Begriffsverwendung bestimmt enttäuschen. Dafür hoffe ich, dass die Widerspenstigkeit, mit welcher die Wörter sich in meinen Händen gebärden, ihre Lebendigkeit zum Vorschein bringt – und wie ich durch diese Lebendigkeit zum Denken animiert werde.

Mensch
Im Wort Mensch kommen zwei Ebenen zusammen. Als Menschen werden gemeinhin Angehörige der Gattung «Homo Sapiens» bezeichnet. Wer oder was als Mensch oder als menschlich bezeichnet wird, hängt darüber hinaus von soziokulturellen Faktoren ab, welche je nach Ort, Zeit und Denkkonzepten (hier sind Rassekonzepte ausdrücklich mitgemeint) stark variieren können[4]. In der humanistischen Denktradition beispielsweise ist Mensch sein mit der Fähigkeit zur Vernunft verknüpft und schliesst so all diejenigen Akteur*innen vom Bereich des Menschlichen aus, welche nicht der Definition von westlicher Vernunft nachkommen – oder diese auf keine für westliche Augen lesbare Art zeigen. Mit dem Einfluss des Humanismus auf das heute noch gegenwärtige westliche Mensch-Konzept beschäftige ich mich im Text «Was ist Posthumanismus». Ich schreibe Mensch kursiv, um auf die Konstruiertheit dieser Kategorie aufmerksam zu machen. Genauso gut könnte ich aber auch von menschlichen Tieren sprechen und werde dies ab und zu auch tun.

Nichtmenschliche/nichtmenschliche Tiere
Als Nichtmenschliche bezeichne ich alle diejenigen, die nicht Menschen sind; also weder Humanisierte noch Menschen, die dehumanisiert wurden. So spreche ich beispielsweise von nichtmenschlichen Tieren, um all jene Tiere zu kennzeichnen, die nicht der Gattung Homo Sapiens angehören. Zu Nichtmenschlichen im Allgemeinen gehören jedoch auch Materialien, Objekte, Dinge und Maschinen.

NichtmehrnurMenschliche
NichtmehrnurMenschliche verwende ich als Gemeinschaftsbegriff für alle Akteur*innen, welche zuvor in Menschlich und Nichtmenschliche differenziert wurden.

Posthumanismus, posthumanistisch
Ein Begriff, der in seiner Mehrdeutigkeit die Vielschichtigkeit und teilweise Widersprüchlichkeit des Posthumanismus spiegelt. Das Post-Präfix hilft da auch nicht weiter, denn es markiert sowohl den Willen ein X zu überwinden, sich aber auch auf dieses zu beziehen, es zu kritisieren – und vielleicht auch zu verwandeln. Das X im Posthumanismus = das Humane oder das Humanistische. Und hier geschieht schon die wichtige Unterteilung. Viele verwenden das «Humane» im Posthumanismus als den Menschen[7] und wollen in diesem Sinne «das Menschliche überwinden» oder «das (körperlich gedachte) Menschsein überwinden».

Andere beziehen sich mit dem Posthumanismus auf die humanistische Strömung, welche die europäische Philosophietradition seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert massgeblich geprägt hat. Vielen dieser Autor*innen ist gemein, dass sie dabei nicht unbedingt anti-humanistisch sind (einige sind sogar dies!) und einige Grundzüge des Humanismus befürworten. Sie sind sich jedoch alle einig, dass die Vormachtstellung des Humanismus in Frage gestellt werden muss und die Inhalte kritisch reflektiert werden müssen. Ich stelle mich ebenfalls in diese Linie der sogenannt kritischen posthumanistischen Denker*innen und verwende keinen posthumanen, sondern einen posthumanistischen Begriff. Ich möchte nicht posthuman sein, nicht mal posthumanistisch sein, sondern nur posthumanistisch denken und agieren. Posthumanistische Denkweisen sind immer verSUCHE, deren Ziel nicht eine Erstarrung in einem Denk-Konstrukt ist, sondern ein prozesshafter Begriff von Werden mittels ständiger Reflexion und Verwandlung.

Schwarz / weiss
Schwarz schreibe ich bewusst gross, um den Begriff als eine sozio-politische Position innerhalb einer mehrheitlich weiss dominierten Gesellschaftsordnung zu markieren. Umgekehrt schreibe ich weiss klein und kursiv, wenn ich nicht die Farbe Weiss meine, sondern die politisch und sozial privilegierte Position innerhalb einer weissen Gesellschaft. Mit beiden Schreibweisen möchte ich auf die Konstruiertheit der Begriffe hinweisen.

Humanisierung
Mit Humanisierung bezeichne ich den Prozess, durch welchen menschliche Tiere zu Menschen werden, und zwar nach dem westlich-humanistischen Konzept (im Gegensatz dazu verstehe ich die Mensch-Werdung in einem offeneren Sinne). Ich werde manchmal also auch von Menschen als die Humanisierten sprechen, um die Prozesshaftigkeit in dieser Mensch-Konzeption zu betonen und um kenntlich zu machen, dass innerhalb dieses Konzeptes Die Humanisierten eine privilegierte Position innehaben, welche nicht allen Menschen immer zusteht und zustand. Als Frau wurde ich beispielsweise in Europa nicht immer als eine Humanisierte angesehen, sondern galt lange als «unmündiges Mensch». Die Humanisierung der Einen geht immer auch mit einer Dehumanisierung der «Anderen» einher[5].

Akteur*innen
Den Begriff Akteur*innen leite ich aus Bruno Latours Akteur-Netzwerk-Theorie ab, nach welcher menschliche und nichtmenschliche Akteure[6] in Netzwerken interagieren. Auch Dinge werden nach Latour zu Akteuren gezählt (wobei er für Nichtmenschliche das Wort «Aktant» benutzt). Die Theorie geht davon aus, dass die Akteure über diese Netzwerke erst situativ geformt und definiert werden. Was die Akteure ausmacht, ist also weniger ein «Wesenskern», sondern vielmehr die Beziehungen, mit welchen sie zu anderen Akteuren in Verbindung stehen. Auf diese Weise wird auch das Schema von Aktivität/Passivität ausgehebelt.

agency
Auch agency ist ein Begriff, der aus Latours Akteur-Netzwerk-Theorie stammt. agency ist nicht mehr als «Handlung» im klassischen Sinne zu verstehen, welche als Resultat von «Intention» nur Menschen zugestanden wird, sondern als «Handlungsfähigkeit» oder «Wirkungsmacht», über die auch nichtmenschliche Akteur*innen verfügen.

Anthropozentrisch, Postanthropozentrisch
Mit Anthropozentrismus werden Denkmuster bezeichnet, welche den Menschen in den Mittelpunkt stellen oder als Ausgangspunkt (beispielsweise von Erzählungen) nehmen. So galt (und gilt teilweise immer noch) in der westlichen Denktradition der Mensch) als Mittel- und Referenzpunkt der Weltanschauung und stellte das Mass aller Dinge dar.

Postanthropozentrismus ist mit Posthumanismus verwandt, insofern als dass beide versuchen, Denk- und Erzählformen jenseits des Anthropozentrismus zu finden. Mehr zur Unterscheidung zwischen Posthumanismus und Postanthropozentrismus im Kapitel «Was ist Posthumanismus».

natureculture / Naturkulturkontinuum
Ich lehne hier einen Begriff von Donna Haraway aus, um das trans-speziezistische Gefüge zu benennen, in welchem wir in und durch Verstrickungen mit anderen Arten, Organismen und Akteur*innen leben. Die natureculture geht nicht mehr von einer Trennung zwischen «Natur» und «Kultur» aus, sondern denkt sie als einander gegenseitig hervorbringende, wechselwirkende Bereiche, deren Grenzen zueinander verschwimmen. Die Verortung in und als natureculture hat weitreichende Konsequenzen für die Wissenschaften, die sie untersuchen, denn sie fordert transdisziplinäre Zugänge und neue Konzepte von Ontologie, Epistemologie, Handlungsmacht (agency), Sozialität und Ethik.

Subjektivierung
Unter «Subjektivierung» werden je nach wissenschaftlicher Disziplin unterschiedliche Prozesse verstanden, weshalb der Gebrauch dieses Begriffs etwas «tricky» ist. Im poststrukturalistischem Sinn wird unter Subjektivierung der Prozess verstanden, durch welchen Menschen zu «Subjekten» gemacht werden. Dieser Prozess vollzieht sich innerhalb gesellschaftlicher Spannungsfelder (Wissen, Macht, System), in welchen das einzelne Individuum teils autonom agiert, teils als den eigenen und gesellschaftlichen Subjekt-Normen «Unterworfenes» (lateinisch subiectus, unterworfenes) auftritt[8]. Hier zeigt sich, wie sich ein «Subjekt» in der Polarität zwischen Autonomie und Unterwerfung konstituiert. In meiner Auffassung oszilliert Subjektivierung als Prozess zwischen der (mehr oder weniger erzwungen oder unbewusst unfreiwilligen) Weiterführung von gesellschaftlich genormten Prozessen und der Ablösung dieser Normierungen in subversiven, autonomen Akten von «Anders-Subjektivierungen». Genau hier sehe ich auch das Potenzial von posthumanistischen Denkweisen, über den Begriff der Subjektivierung einerseits neue (und vor allem diverse) Formen der Mensch-Werdung zu konzipieren und andererseits (epistemologische) Voraussetzungen zu schaffen, unter welchen auch Nichtmenschliche «zu Subjekten werden» können.


[1] Siehe auch Karen Barad «Posthumanist Performativity». Ihr Eröffnungssatz «Language has been granted too much power» schwebt hier mit im Raum.

[2] «the «post» is forever tied up with what it is «post-ing»», Neil Badmington

[3] Ich lehne mich hier an Haraways Begriff der «situated knowlede» an.

[4] “How race, location, and time together inform what it means to be human”, Sylvia Wynter, “On Being Human as Praxis” (Hg K. McKittrick). Siehe weiter dazu: Zakiyyah Iman Jackson “Becoming Human” und Karen Barad “Posthumanist Performativity”

[5] Dehumanisierung geschah in der westlichen Menschheitsgeschichte beispielsweise in der Kolonialzeit, in welcher Menschen als Sklaven zu Eigentum – und somit zu Dingen – degradiert und dehumanisiert wurden. Auch in der Rassen-Eugenik wurden Prozesse der Dehumanisierung vollzogen.

[6] Latour verwendet das generische Maskulinum.

[7] Bewusst nicht kursiv geschrieben, da es sich beim Menschen hier eben um das menschliche (körperliche) Tier handelt.

[8] Siehe dazu Andreas Reckwitz, «Subjektivierung», in: «Handbuch Körpersoziologie», Robert Gugutzer, Gabriele Klein, Michael Meuser (Hg)

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